5.  Das Gehirn

 5.1  Die Struktur des Zentralen Nervensystems
 5.2  Das Gehirn als biologisches System
     5.2.1  Körper und Gehirn
     5.2.2  Die Funktion einiger wichtiger Hirnbereiche
     5.2.3  Arten der Erfassung von Informationen durch das Gehirn
 5.3  Untersuchungsmethoden für das Gehirn

5.1.  Die Struktur des Zentralen Nervensystems

Der Begriff Gehirn ist ein Oberbegriff für dieses Organ, welches ein vielseitiges Ensemble aus mehreren komplexen Strukturen aus sehr vielen einzelnen Zellen, die als Neuronen (vgl. Kapitel 6) bezeichnet werden, ist. Das Gehirn bildet zusammmen mit dem Rückenmark, in der Abbildung 5.1 nur angedeutet, das Zentralnervensystem (ZNS) des Menschen. In diesem Abschnitt sollen einige der wichtigsten Bereiche des menschlichen ZNS benannt werden.


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Abbildung 5.1: Eine schematische Darstellung eines menschlichen Gehirns, mit der Bezeichnung einiger wichtiger Bereiche. Die Abbildung ist ähnlich dem Bild in (Tho94, auf S. 23).


Um die Informationsverarbeitung besser zu verstehen werden einige neue Begriffe zur Struktur des ZNS, speziell des Gehirns, eingeführt, diese werden z.T. auch im Begriffsverzeichnis erläutert.

Eine Aufgabe des ZNS ist die Informationsverarbeitung. Durch und über die Sensoren (z.B. die Haut oder die Zunge) werden die Informationen zu dem ZNS geleitet und rückwirkende Informationen werden z.B. mittels der Erzeugung von Botenstoffen in den exokrinen und endokrinen Drüsen (z.B. Schweißdrüsen, Hypophyse) gebildet. Diese bewirken eine Reaktion des Körpers auf eine Information. Innerhalb der einzelnen Hirnbereiche existiert ebenfalls ein Informationsaustausch, eine Kommunikation zwischen den einzelnen Bereichen.

Das Gross- oder Endhirn ( Cerebrum, Telencephalon) und das Kleinhirn (Cerebellum) überlagern den Hirnstamm (Medulla oblongata und Pons). Am Ende des Hirnstammes findet man das Mittelhirn (Mesencephalon). Der Thalamus, sowie der Hypothalamus und die Grosshirnrinde (Cortex cerebri) liegen über dem Hirnstamm. Die Grosshirnrinde ist in zwei Hälften geteilt, diese werden Hemisphären genannt. Dem Mesencephalon schliesst sich das Rückenmark als Fortsetzung an. Das Rückenmark ist Nervengewebe in Längsform, welches durch die Wirbelsäule gestützt und geschützt wird. Ausserhalb des ZNS nennt man gebündelte Fasern Nerven, im Unterschied werden sie im Inneren des ZNS als Nervenbahnen bezeichnet.

Im Rückenmark erfolgen Reflexe, als Reaktion einer Informationsverarbeitung, auf die Funktionen von Muskeln und auf autonome Reaktionen bei körperlichen Reizen (spinale Reflexe). Aktivitäten, welche über das Rückenmark laufen und die das Gehirn mit einbeziehen nennt man supraspinale Aktivitäten. Die Informationen, die die Körperbewegungen koordinieren, werden über das Rückenmark zu den Neuronen, die dann mit den Muskeln verbunden sind, geleitet. Die Kommunikation zwischen Rückenmark, Hirn und Muskel ist natürlich komplexer, als hier angedeutet. In der Gegenrichtung werden viele Wahrnehmungen der Sinne (hauptsächlich Tastreize) durch das Rückenmark zum Gehirn gesendet. Im Bereich des Kopfes erfolgt die sensorische und motorische Anbindung (vgl. Gehör und Auge) direkt.

Der Hirnstamm (Medulla oblongata und Pons) enthält auf- und absteigenden Nervenbahnen und bildet damit einen Abschluss des Rückenmarks. In diesem Bereich werden wichtige Funktionen, wie die Atmung, der Herzschlag und andere unbewusste Aktionen, gesteuert. Es handelt sich um Nervenbahnen, deren Struktur in Zusammenhang mit den autonomen Nerven steht. Diese Art der Nervenbahnen hat Verbindung zu den autonomen Funktionen (Prozesse, die im Körper als Folge von Wechselwirkungen ablaufen, wie z.B. bei Emotionen) und den bestimmenden Funktionen (z.B. Verdauung, Herztätigkeit oder Atmung). Man nennt es auch das vegetative Nervensystem.

Das Mittelhirn (Mesencephalon) geht von der kabelbaumartigen Struktur des Rückenmarks in die kompaktere Schichtenstruktur des Thalamus sowie des Hypothalamus über. Im oberen Bereich des Mittelhirns findet man Zellenansammlungen für das Hör- und Sehsystem. Im unteren Teil werden die Augenbewegungen gesteuert und auch die Kontrolle der tiefer gelegenen Hirnabschnitte erfolgt hier. Außerdem findet man hier Strukturen (der Rote Kern (Nucleus ruber) und stark pigmentierte Zellen (Substantia nigra)), welche für die Bewegungskontrolle mit verantwortlich sind.

Das Rückenmark, der Hirnstamm und das Mittelhirn bilden aus der Sicht der Evolution die ältesten Teile des ZNS. Sie sind hintereinander angeordnet. Da sie wichtige Vitalfunktionen kontrollieren und steuern, ist dies verständlich. Im Laufe der Entwicklung waren und sind diese Funktionen zum Überleben notwendig. Dies ist auch der Grund, dass die Organisation und die Struktur dieser Hirnbereiche sich bei vielen Lebewesen, vor allem der Säugetiere, ähnlich gestaltet sind. Das Kleinhirn (Cerebellum) ist ebenfalls eines der älteren Resultate der Evolution. Es ist verantwortlich für die sensomotorische Koordination. Ähnlich der Großhirnrinde bilden die Neuronen hier eine wenige Millimeter dicke Oberflächenschicht. Die Eingaben zum Kleinhirn kommen vom Gleichgewichtssystem der Ohren (Vestibularsystem), den sensorischen Fasern des Rückenmarks, vom Sehsystem und von verschiedenen Bereichen der Großhirnrinde und des Hirnstamms.

Den Thalamus findet man über und vor dem Mittelhirn. Er besteht aus je zwei ovalen Strukturen, eine innerhalb der jeweiligen Großhirnhälfte. Der Thalamus bildet einen Relaisknoten für das Seh-, Hör- und sensomotorische System. Er umfasst auch Strukturen, die auf andere Bereiche (z.B. den Cortex) projizieren und damit können diese dann Eingaben des Grosshirns verarbeiten. Der Hypothalamus liegt in der unteren Hälfte des Gehirns im Bereich des Zusammentreffens von Mittelhirn und Thalamus. Ein Nachbar des Hypothalamus ist die Hirnanhangdrüse (Hypophyse). Diese wird von dem Thalamus gesteuert. Hier werden Körperfunktionen geregelt, die z.B. im Zusammenhang mit den Emotionen auftreten. Die Steuerung der Hormone im Körper wird von dem System Hypothalamus und Hypophyse koordiniert. Die chemische Zusammensetzung der Hormone bilden einen Regelkreis, mit dem auch andere Hirnbereiche beeinflusst werden.

Die Großhirnrinde (Cortex cerebri) ist die jüngste Struktur, der sich beim Menschen im Laufe der Evolution herausgebildet hat. Sie besitzt eine relativ große Ausdehnung und ist bei Säugetieren, besonders beim Menschen, ein äusserlich sehr dominierenter Bereich. Er fällt durch seine Faltung und Windungen (Gyrus) auf, hier befinden sich die Kontrollzentren für die Sprache, das Erkennen der Umwelt und das Denk- und Vorstellungsvermögen. Die gesamte Struktur ähnelt einer Wallnuss. Die Großhirnrinde bildet sich über die jeweiligen Hirnhälften aus und ist mittels Balken (Corpus callosum) miteinander verbunden. Der Cortex ist die oberste Neuronenschicht im Gehirn. Sie bildet eine rund drei Millimeter starke Schicht über das ganze Gehirn. Bei einem Schnitt durch den Cortex zeigt sich eine schichtenähnliche Struktur der Anordnung der Neuronenzellen.

In der Literatur, z.B. in (Ede93; Ede95; Tho94; PiSC97) oder (Rot03), werden weitere Details und Zusammenhänge zur Struktur des ZNS und die einzelnen Bereiche genauer erläutert. Als Gesamtsystem arbeiten die Hirnstrukturen im Zusammenhang auch an der Informationsverarbeitung. Die Bedeutung und die Funktion der einzelnen Strukturen werden in nächsten Abschnitt erläutert. Das vollständigen Verstehen des Cortex cerebri, überhaupt des Gehirns, steht für die Wissenschaften trotz großer Erfolge erst am Anfang.

5.2.  Das Gehirn als biologisches System

5.2.1.  Körper und Gehirn

Das Gehirn ist eines der wichtigsten Organe, welches der Mensch besitzt. Man bedenke, dass der Mensch erst dann als Tod gilt, wenn sein Hirn nicht mehr arbeitet. Wie aus dem Vorgängerabschnitt bekannt, lässt sich das Hirn in verschiedene Bereiche unterteilen. Viele natürliche neuronalen Netze, bestehend aus einer Vielzahl von Neuronen und einer komplexen Verbindungsstruktur, die auch interzellulare Kontakte umfasst, bilden in ihrer Gesamtheit ein Gehirn. Die Abb. 5.2 zeigt die Assoziation von einem realen Hirnquerschnitt auf ein ZNS und die Einbindung in einen angedeuteten menschlichen Körper.


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Abbildung 5.2: Das menschliche Gehirn als Vorbild. a) zeigt einen seitlichen Querschnitt durch ein Gehirn und b) den Übergang zu einer schematischen Darstellung eines menschlichen Gehirns und c) die Postition des Gehirn in einem „symbolischen“ Menschen.
Vgl. auch Darstellung in Tho94, auf S. 23


Es sind die Eigenschaften des Gehirns, wie aus einer Erfahrung zu lernen oder sie zu vergessen, sich in einem Umfeld zu orientieren oder den Organismus, als dem Träger des Gehirns, auf die sich ändernden Umweltbedingungen anzupassen, die zu der Bezeichung Steuerzentrale eines biologischen Systems, im allgemeinen dem Körper, führten.

Das Gehirn hat sechs Grundfunktionen, vgl. (Rot07, s. S.52 ff.),

  1. Lebenserhaltung von Körper, d.h. auch des Gehirns als Organ,
  2. Wahrnehmung (Sensorik),
  3. Motorik, d.h. Bewegungssteuerung,
  4. emotionale Bewertung und Verhaltensteuerung,
  5. Denken, Vorstellen und Erinnern, d.h. kognitive Bewertung, und
  6. Handlungsplanung und Handlungsvorbereitung.

Ein Körper nimmt Informationen für diese Funktionen wahr, reagiert auf diese Informationen über die Verarbeitung mittels der Sinne über Signale zum Gehirn und der Körper reagiert entsprechend z.B. mit der Motorik. Die Funktionen sind im Gehirn nicht eindeutig an einen bestimmten Ort gebunden, sie aktivieren bestimmte Bereiche, auch als Areale bezeichnet, eines Hirns. Manche Bereiche vermischen sich dabei auch. Oder wie es in (Rot07, Seite 89) ausgedrückt wird: „Das Gehirn ist also in vieler Hinsicht funktional redundant, d.h. eine bestimmte Funktion kann auf verschiedene Weise ausgeübt werden. Das ist die Grundlage der großen funktionalen Plastizität, d.h. der Veränderbarkeit des Gehirns.“. Das Gehirn ist Bestandteil eines sehr komplexen Systems und steht in einer vielfältigen Wechselwirkung.

Diese Wechselwirkung beschreibt sehr treffend ein Zitat aus (FA05, Seite 214): „Im Ausgang der Wahrnehmung werden durch die Mechanismen der Plastizität Spuren in die neuronalen Schaltkreise eingeprägt. Bestimmte dieser Spuren, die unmittelbar ins Bewusstsein gerufen werden können, liegen dem Gedächtnis und dem Lernen zugrunde. Andere können umgestaltet werden, sich miteinander assoziieren und neue Spuren hervorbringen, die ihrerseits nicht mehr in direkter Verbindung mit der ursprünglichen Wahrnehmung stehen und sich dem Bewusstsein entziehen können. Schliesslich könnte man postulieren, dass bestimmte Spuren sich auf Anhieb einprägen, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind.“. Dieses Gesamtsystem, die Plastizität enthält die, noch zu besprechenden, Einheiten für eine Informationsverarbeitung. Die Interaktion mit der umgebenden Welt erfasst immer bestimmte Bereiche des Gehirns. Einige dieser Funktionen werden im nächsten Abschitt genauer behandelt.

Ein Lebewesen ist in einer ständigen Wechselwirkung mit der es umgebenden Welt, z.B. wegen der Nahrungsaufnahme, dem Verstehen und vieler anderer bekannter Dinge des Alltags. Man kann folgendes System

W  echselwirkungssystem   : Lebewesen  ⇔  N atur

für die Wechselwirkungen formal ausdrücken. Eine schematische Darstellung der Wechselwirkungen wurde in der Abbildung  2.1 am Beispiel des Informationsflusses gezeigt. Die Betrachtung eines Lebewesens oder Organismus als ein System beruht auf der Grundlage der Wechselwirkung, auch als dem Träger des Hirns, des Körpers und dem Gehirn (z.B. Hirn und Rückenmark beim Menschen) besteht. Der nachfolgende formale Ausdruck, als ein mathematischer Term,

𝔖 : {Gehirn  ∧  K ¨orper},

verdeutlicht diese Aussage. In vielen Anatomiebüchern der Medizin stellen den Körper als ein Gesamtsystem dar oder man kann in als ein Kunstwerk studieren. Wenn man nun den Körper ebenfalls als ein Oberbegriff vieler Teile eines Organismus betrachtet, so kann man die formale Darstellung weiterführen zu

𝔖  : {Gehirn {P lastizit¨at} ∧  K ¨orper{Sensorik,  M otorik}}.

Mit dieser Art der Darstellung kann man die Wechselwirkung auf der Grundlage von Informationen,

Information  ↦→  Sensorik  ↦→  Gehirn  ↦→  M otorik ↦→  Inf ormation

als eine Kette darstellen. Nach dieser Modellvorstellung bildet das Gehirn als Teilsystem des Körpers die Steuerung. Die schon mehrfach erwähnte Abb. 2.1 verdeutlicht dieses Modell als eine Art Black-Box. Die eingehenden Informationen werden verarbeitet und der Körper reagiert darauf. Diese Denkweise wird man auch bei den KNN, den Versuch einer künstlichen Umsetzung, wiederfinden.

5.2.2.  Die Funktion einiger wichtiger Hirnbereiche

Ausgehend von der anatomischen Unterteilung in der Abbildung  5.1 zeigt die Abb. 5.3 am gleichen Modell eine Lokalisierung von Hirnbereichen oder Arealen nach bestimmten Funktionen. In diesen Hirnbereichen sind es vielfältige neuronalen Netze, die die Funktionalität einer Körperfunktion steuern.


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Abbildung 5.3: Lokalisierung von bestimmten Hirnfunktionen. Vergleiche auch Abb.  1.9
Abb. 5.1 modifiziert


Zellen nehmen die Informationen über Rezeptorenfelder auf, z.B. von den Stäbchen und Zäpfchen auf der Retina der Augen. Nach der Signalwandlung werden über ein Bündel von Nervenbahnen und im Inneren des Gehirns über die vielfältigen Verbindungen der Neuronen Informationen zum bzw. vom Gehirn transportiert. Diese Nerven im Körper werden häufig auch als periphere Nerven bezeichnet. Die Informationen der Sinne werden auf bestimmte Teile des Gehirns abgebildet. Die Rindenbereiche, manchmal auch Lappen (lat. Lupus) genannt, sind für die Verarbeitung der jeweiligen Sinne verantwortlich. Siehe auch (MM92) oder (Rot07).

Informationen für das visuellen System (dem Sehen) gelangen als Impulse über die bereits erwähnten Felder, zusammengesetzt aus lichtempfindlichen Stäbchen und Zapfen, auf der Netzhaut, der Retina (vgl. (PiSC97)), des Auges zur Sehkreuzung und von dort in den Thalamus. Als Impulse aktivieren sie im hinteren Bereich Neuronenfelder, oder neuronale Netzwerke, welche ein Mensch bewusst als Bilder wahrnimmt. Diese bewirken dann über den Hypothalamus oder die Amygdala die Ausschüttung von Hormonen (z.B. sexuelle Erregung), die ihrerseits wieder Reaktionen des Körpers (z.B. Schwitzen, Muskelkontraktionen o.ä) bewirken. Die grobe Anatomie des Sehsystems kann man in der Abbildung 5.4 erkennen.


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Abbildung 5.4: Modell des Sehsystems. Die Bezeichnungen kennzeichnen die anatomische und die kursiven Anmerkungen verdeutlichen die Anwendungebene des Sehens.


Zur Verarbeitungsebene gelangt man über die konkrete Messung von Werten (z.B. Potentiale von/an Nervenenden der Retina oder Aktivierungsmessungen von Hirnbereichen). Diese Werte können analytisch zur Interpretation der Aufgaben des Sehsystems verwendet werden (z.B. Diagnose: Sehschärfe), vgl. auch die kursiven Anmerkungen in der Abbildung 5.4. Eine ausführlichere Beschreibung des Sehsystems und dessen Betrachtungsweisen findet man in (PiSC97, besonders Kapitel 4) und in (JGN92, Kapitel 16 und 17).

Die Aufnahme der Informationen der anderen Sinne in den Bereichen des Gehirns erfolgt ebenfalls über die Rezeptorenfelder. Ein Rezeptorfeld ist ein Bereich des Gehirns, in dem eine Sinnesinformation eine entsprechendende Reaktion bewirkt. In der Abbildung 5.5 a sind einige der beteiligten Bereiche in ihren Abfolge schematisch dargestellt. Die Größe und der Umfang ist vom Körper abhängig, so ist z.B. das Rezeptorfeld der Fingerspitzen kleiner als das der Arme. Auch im visuellen Bereich variieren die Größe der Felder. Die Abbildung 5.5 b zeigt einige der Bereiche im Gehirn die z.B. bei Sprach- und Farbverstehen aktiv sind.


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Abbildung 5.5: Die beiden Abbildungen zeigen die Segmente und Bereiche in einem Gehirn bei verschiedenen Funktionen. a) Deutet den Verlauf und die Bereiche für die Funktion Schmecken, Sehen usw. an und b) kennzeichnet schematisch einige der Bereiche beim Sprechen und Farbverstehen.
Abbildungen modifiziert nach (MM92).


Die Entwicklung von höheren Lebewesen und die des Menschen hat im Gehirn zu einer Spezialisierung geführt. Beim Stoffwechsel und dem Kreislauf, den sogenannten vegetativen Funktionen, sind der Hirnstamm, der Hypothalamus und der Mandelkern (Amygdala) beteiligt. Die Wahrnehmungen unterteilen sich nach dem Sehen, dem Körperempfinden (Haut, Muskeln oder Gelenke), das Sehsystem, das Gehör, der Geruch und der Geschmack. So sind die Sinnesorgane für das Gleichgewicht (vestibuläres System) mit dem Organ des Hörens verknüpft. Vom Innenohr führen Nervenbahnen zum verlängerten Mark und von dort zu Bereichen im Thalamus und von dort in die vorden Bereiche der Scheitellappen.

An der Steuerung von Bewegungen, dem motorischen System, sind Kerne beteiligt, die im Mittelhirn und im verlängerten Mark und dem Rückenmark lokalisiert sind. Sie betreffen die unbewusste Steuerung, wie z.B. die Lidbewegungen der Augen. Die bewusste Steuerung kommt aus Bereichen der Großhirnrinde, den hinteren Stirnlappen vor der Zentralfurche. Emotionales Verhalten wird meist mit dem limbischen System verbunden, da die Drüsen, wie Hypothalamus und Amygdala, als das vegetative System die Produktion von entsprechenden Stoffen veranlassen.

Die vegetativ-affektiv Ebene ist der früheste Bereich, der sich herausbildet, da er z.T. für die notwendigen Funktionen des Körpers (Stoffwechsel, Kreis-, Verdauungs-, Temperatur- und Hormonhaushalt, Wach- und Schlafzustand) und der damit verbundenen Bewusstseinszustände verantwortlich ist. Auch die hieraus ableitbaren Affekte (.z.B. Flucht, Angriff) sind hier mit lokalisierbar. Die Ebene ist im Bereich des Hypothalamus, der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) und in Bereichen des basalen Vorderhirns lokalisierbar.

Die bisherigen Bereiche des Gehirn beschäftigten sich mit den lebensnotwendigen Funktionen, die bei vielen Lebewesen, besonders Säugetieren, anzutreffen sind. In den entwicklungsgeschichtlichen jüngsten Bereichen eines menschlichen Gehirn werden die komplexeren Funktionen, wie Vorstellungen, Gedächtnis oder das Planen von Aktionen, realisiert. Assoziationen findet man in der Großhirnrinde, man nennt sie auch assoziativer Cortex. An Erinnerungen und dem Gedächtnis ist der Hippocampus beteiligt. Modellbildungen, als Vorstellungen erfolgen über die Stirnlappen, die in Verbindung zu anderen Bereichen sind, z.b. dem Hinterhauptlappen.


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Abbildung 5.6: Zuordnung von Zuständen und Arealen, welche z.T. für eine Persönlichkeit von Bedeutung sind.
Abbildung modifiziert nach (Rot07, S.75).


Die Ebenen einer Persönlichkeit ergeben sich aus Zentren (anstelle von einer absoluter funktioneller Lokalisierung, vgl. funktionelle Multi-Zentralität (Rot07, S.89)) im Gehirn. Es gibt, entsprechend vereinfacht, bestimmte Bereiche im Hirn welche im Zusammenhang mit einer konkreten Persönlichkeit stehen. Die Ebene der emotionalen Konditionierung ist im mesolimbischen System und der Amygdala feststellbar. Hier kommt es zur erfahrungsabhängigen, aber unbewussten, Verknüpfung von Furcht, Angst oder Überraschung. Grundlage der Konditionierung ist, dass die Amygdala von den Sinnesorganen über den Thalamus von aussen entsprechende Informationen erhält. Deweiteren wirkt die Amygdala mit dem mesolimbische System, aber als Gegenpol, zusammen. Hier treten Mechanismen des Belohnung- oder Motivationsssystems (z.B. auch Suchtverhalten) in Aktion.

Die vegetativ-affektiv Ebene und die Ebene der emotionalen Konditionierung sind eingebettet als Ebene des unbewussten Grundlage einer Persönlichkeit, des unbewussten Selbst. Hiermit werden die Grundlagen für die Wechselwirkung mit uns selbst und der unmittelbaren Umwelt gelegt. Es ist das „Kleinkind“ in uns.

Diese drei Ebnen sind die Basis der übergeordneten Ebene, die der limbischen Areale der Grosshirnrinde. Hierzu gehören die limbischen Anteile der Grosshirnrinde und des Cortex. Funktionen des limbischen Cortex sind verantwortlich für Lernen, Sozialverhalten und der Einschätzung von Konsequenzen. Weitere Details siehe (Rot07, Seite 93).

Die bisher besprochenen Ebenen gehen in der kognitiv-kommunikativen Ebene auf. Es sind dies die assoziativen Areale des Neocortex. Enthalten sind der präfontale Cortex als Kurzzeitgedächtnis und Verstand, das Wernicke-Areal als Sprachebene für einfache Wortbedeutung und das Borca-Areal für Satz und Wortbedeutungen. Abbildung 5.6 deutet einige der angedeuteten Sachverahalte an.

Neben der Eingrenzung der Funktionen eines Gehirn unterscheiden sich auch die zellularen Bausteine des Gehirns. Die wichtigsten Zellen sind die Neuronen und die Gliazellen als Stützzellen der Neuronen. Eine genauere Betrachtung der Neuronen wird im nachfolgenden Kapitel erfolgen. Diese Abhandlung ist keine Darstellung von neurologischen und neuroanatomischen Sachverhalten, für vertiefende Informationen sei auf das Literaturverzeichnis verwiesen. In dieser Literaturübersicht werden Quellen aufgeführt, die die Details der sensorischen Erfassung, z.B. das Sehsystem in (PiSC97) oder die Motorik in (Ede93), genauer beschreiben.

5.2.3.  Arten der Erfassung von Informationen durch das Gehirn

Informationen aus der Natur in der Form von Signalen erreichen das Gehirn während einer Wechselwirkung über die Sinne. Die Umwandlung der Sinnesinformationen erfolgt über die bereits erwähnten Rezeptoren. Die Rezeptoren, auch Transduktoren genannt, sind Zellen oder Bereiche in denen die jeweilige Komponente, z.B. Licht oder Geruch, in körpereigene Signale, meist elektrische Potentiale, umgewandelt werden. Das Gehirn verarbeitet also über die Modalitäten der Sinnesorgane die Eindrücke der Umwelt. Die Plastizität des Gehirns beruht auf dieser Dynamik der Sinneseindrücke.

Auf der Basis der Sinne können Spuren im Gehirn gebildet werden, die irgendwann mal aktiviert, bestimmte Reaktionen bewirken, auch ohne das der konkrete Sinn aktiviert ist, siehe auch (Kan06) oder (FA05). Ähnlich wie bei einem Regelkreis, diese Betrachtung ist natürlich sehr vereinfacht, übermitteln die Sinne Signale, die das Gehirn verarbeitet und letztlich dadurch Reaktionen bewirkt. Es hat jeder wahrnehmbare Sinn seine zugehörigen Sensorneuronen und diese funktionieren auf unterschiedliche Art und Weise.

Mit dem Rezeptoren können Informationen über Licht, Temperatur, Druck und Geruch verarbeitet werden. Man kann die sensorische Verarbeitung auch in einer Gleichung formalisieren:

           (|      Licht      )|
           |||                 |||
           {  T emperatur    }
N atur ⇔   |     Druck       |   ⇔   𝔖 {Gehirn }.
           |||     Geruch      |||
           (                 )

Die Anzahl der Rezeptoren ist dabei bei den Lebewesen sehr unterschiedlich verteilt. Beim Menschen dominiert das visuelle System, obwohl die Haut die grössere Sensorfläche bietet.

Diese Bedeutung des Sehsystems führen zu folgenden Überlegungen. Bei dem Sehsystem trifft die Information von einem Objekt aus der Natur auf die Netzhaut, Abb. 5.7 verdeutlicht den Vorgang. Von dort werden die Sehnervenimpulse über die Nervenbahnen in der Relaisstation CGL (Corpus geniculatum laterale) innerhalb des Thalamus (vgl. Abbildung 5.4) zur Hirnrinde weitergeleitet.


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Abbildung 5.7: Schematische Darstellung der Funktion und Wirkungsweise des Sehsystem, am Beispiel der Vektordarstellung. Beispiel gilt nicht nur für das biologische Sehsystem, vgl. Abb. 5.4, sondern auch für die KNN.


Dort bilden sie eine Repräsentation des beobachteten Objekts, welche man Vektorrepräsentation nennt. Diese Darstellung wird bei der Beschreibung der KNN noch häufiger auftauchen. Damit ist gemeint, das ein jedes Bild einen Vektor mit bestimmten Werten bildet. Der Notenschlüssel und der Schaltkreis bilden einen solchen Vektor bei der Verbeitung der Information bei Auftreffen auf die Retina.Der einzelne skalare Wert des Vektors ist ein Ausdruck für die Bedeutung der jeweiligen Bildinformation.

Die Haut ist, wie bereits oben erwähnt, durch ihre Fläche das größte Sinnesorgan eines Menschen. Auf diesem Organ sind rund 3×105 Sensoren verteilt. Damit können Informationen über Druck, Temperatur oder Schmerz erfasst werden. Die Empfindlichkeit für taktile Reize ist über die Körperoberfläche unterschiedlich verteilt. Sehr empfindlich reagieren die Fingerspitzen und die Lippen. Die erfassten Signale (Reize) werden vom vegetativen und vom motorischen System verarbeitet. Wesentlich weniger Rezeptoren, nur 3×104 Haarzellen im Cortischen Organ, steht dem Hörsystem zur Verfügung. Hören kann ein Mensch im Idealfall Töne bzw. Frequenzen in einem Bereich von 20 Hz20 kHz. Die Augen, das Gehör und die Haut reagieren auf Informationen, die sich durch physikalische Wechselwirkungen ergeben.

Sensormässig sind der Geschmack und der Geruch beim Menschen mit den wenigsten Rezeptoren ausgestattet. Beide Sinne werden auch als chemische Sinne bezeichnet, vgl.(Chu95, S. 24f und S. 30f) und (wwwhr), da die Signalumsetzung auf chemischen Reaktionen basiert. Das Geschmackssystem auf der Zunge hat ca. 3000 Sensoren. Dies ist der Grund, warum ein Mensch eigentlich nur Geschmäcker aus vier Grundarten, wie Süß, Sauer, Salzig oder Bitter, identifizieren kann. Der olfaktorische Sinn besitzt ca. 1000 Rezeptoren für die Erfassung von Gerüchen. Die Sensorfläche in der Nase eines Menschen umfasst in etwa 2 × 25 cm2. Bei einem Hund sind es deutlich mehr, mit 2 × 50 cm2 erklärt sich der gute Geruchsinn von Hunden. Bei der Erfassung von Gerüchen treten z.T. auch Komponeneten des Geschmackssinns in Wechselwirkung.

Bei den Nervenbahnen der Peripherie unterscheidet man zwischen zuleitenden (afferente) Fasern (auch sensorische Fasern), welche die Informationen der Rezeptoren der Sensorik ans Gehirn leiten und ableitenden (efferente) Fasern, sogenannte Motoneuronen (mehr Details im nächsten Kapitel), die Informationen vom Gehirn zum Rezeptor bzw. die Motorik übertragen, der letztlich eine Reaktion des Körpers bewirkt (z.B. Muskelkontraktion).

Die Verarbeitung der Sensordaten mittels der Rezeptoren repräsentieren eine Schnittstelle zwischen der Aussenwelt und dem Gehirn. Ihre unterschiedliche Anzahl bewirkt eine Wichtung der ankommenden Signale. So ist klar, dass der Mensch ein Lebewesen ist, welches sehr stark auf optische Reize reagiert. «Ein Bild sagt mehr als tausend Worte» ist nicht nur ein geflügeltes Wort, sondern unterstreicht die Wichtigkeit von visuellen Signalen.

5.3.  Untersuchungsmethoden für das Gehirn

Ein Gehirn und seine Bestandteile sind sehr komplexe Systeme, bei denen mitunter verwirrende Wechselwirkungen auftreten. Das menschliche Gehirn als Organ im Besonderen ist kompliziert, da hier viele Vorgänge einer direkten Untersuchung nicht zugänglich sind. Trotzdem fanden Untersuchungen am Gehirn schon in der Steinzeit statt. Die Abb.  3.10 aus dem Abschnitt 3.4 belegt dies. Deshalb haben sich im Laufe der Entwicklung aus den Wissenschaften heraus Verfahren gebildet, die auf dem Stand des jeweiligen Wissensstandes bzw. auf Modellvorstellungen des Gehirns basieren.

Das Vorgehen bei der Erforschung belegt ein Zitat aus (Dam04, Seite 107): „Wenn man heute die biologischen Grundlagen des privaten menschlichen Geistes untersucht, verfährt man im Allgemeinen in zwei Schritten. Während des ersten Schrittes beobachtet und misst man die Handlungen einer Versuchsperson oder sammelt und bewertet die Berichte über ihre inneren Erfahrungen oder macht beides. Beim zweiten Schritt vergleicht man die erhobenen Daten mit der gemessenen Manifestation eines der neurobiologischen Phänomene, die wir allmählich zu verstehen beginnen; und zwar auf der Ebene von Molekülen, Neuronen, neuronalen Schaltkreisen oder Systemen von Schaltkreisen.“

Ausgehend von den anatomischen Untersuchungen, so beschrieben in (PiSC97)oder historisch gesehen in (Bur05) und  (FA05) oder (Tho94) bzw. (JGN92) und der Anwendungen und Forschungen in der Medizin, vgl. Abbildung  5.11, haben sich auch die Vorstellungen von den Modellen wechselseitig beeinflusst. Durch und mit diesen Modellen wird und kann nicht nur die Informationsverarbeitung im Gehirn oder deren Bereichen beschrieben werden. Die Schnittstelle zwischen der Untersuchung eines Gehirns und der Modellbildung ist auch eine der Grundlagen der KNN. Viele der Erkenntnisse, die in diesem Buch verwendet werden, basieren letztlich auf den Resultaten solcher Untersuchungen.

Eine der bekanntesten und ältesten Methoden zur Untersuchung des Gehirns, neben den Schädelöffnungen (Trepanationen), ist die der Reflexe. Es handelt sich um eine indirekte Untersuchung. Hier werden Nervenenden oder Nerven angesprochen und es wird kontrolliert, ob eine Reaktionen erfolgt. Zum Beispiel wird beim Test des Kniereflexes mit einem Schlag durch ein Hämmerchen unterhalb des Knies eine Kontraktion von Muskeln bewirkt und der Fuß schlägt aus. Ein anderen Test ist der Check der Pupillenweitung oder Augenbewegung bei Lichteinfall. Dies erlaubt den Medizinern Rückschlüsse auf die motorische Verarbeitung der Reflexe im Gehirn. So werden Erkenntnisse gewonnen, ob ein Gehirn noch in der Lage ist Reize von der Umwelt aufzunehmen oder nicht.

Natürlich kann durch solche Tests der Reflexe keine konkrete Aussage zu der Arbeit direkt im Gehirn gemacht werden. Entsprechend der schematischen Abbildung  2.1 erhält man nur Informationen zu den beiden äusseren Schichten und kann auf die Verarbeitung in den inneren Schichten nur indirekt Schlussfolgern. Genauere Aussagen über die Vorgänge im Inneren eines Gehirns und dessen Funktionsweise hat man durch die Untersuchung und Behandlung von Hirnschäden (Läsionen) erhalten und erhält sie, zusammen durch die Verwendung neuester Verfahren, noch heute.

Die Arbeitsweise des Gehirns eröffnet sich aus der Tatsache, dass diese meist im oder durch das Verhalten der betroffenen Personen beobachtet werden kann. Bei der Betrachtung von Hirnschäden besteht und ist erforderlich das Zusammenwirken von mehreren eigenständigen Wissensbereichen, Handhabungen und Techniken (vgl. auch (Bur05) oder (Lur92)). Da ist die Untersuchung des Hirnschadens auf der einen Seite, die Beobachtung und die eigentliche Untersuchung, z.T. unter der Verwendung von Geräten, und die Behandlung des Schadens. Dabei spielen hier auch die Erkenntnisse der Psychoanalyse eine bedeutende Rolle, vgl. (FA05). Je nach der Art der Läsionen, man unterscheidet zwischen irreversiblen und reversiblen Schäden, werden Teile de Gehirns in ihren Funktion und Wirkungsweise analysiert und behandelt. Natürlich ist die Untersuchung von Läsionen auch immer ein Zusammenspiel vom jeweiligen Stand der Wissenschaften, vgl. (Dam06).

Irreversible Hirnschäden haben häufig ihre Ursache in Verletzungen, z.B. Verkehrsunfälle oder leider auch Kriegseinwirkungen, oder sind Folge von Krankheiten, z.B. einem Schlaganfall. Die Erkenntnisse aus den Beobachtungen und Behandlung solcher Schäden sind das Resultat von Einzelfällen. Außerdem ist bei reversiblen Schäden eine Beobachtung nur während der Dauer der Krankheit oder Läsionen möglich. Hier liegt auch eine Schwäche dieser Methode. Stand in der Vergangenheit nur die ausschliessliche Beobachtung über einen längeren Zeitraum bei Einzelfällen zur Verfügung, so können gegenwärtig diese Ergebnisse durch zusätzliche moderne Verfahren verifiziert bzw. diagnostiziert werden. Die Menge der Einzelfälle und die zunehmende Möglichkeit der Verifizierung gleicht einen Teil der Schwäche dieser Beobachtungsmethoden jedoch aus.

Kennt man die Stelle der Hirnschädigung, so kann man aus der Beobachtung des Verhaltens Rückschlüsse auf die örtliche Struktur und deren Funktion gewinnen. Die Unterteilung des Gehirns in verschiedene Bereiche und die Zuordnung der Funktionen sind zum Teil ein Ergebnis solcher Beobachtungen. Im Lauf der Geschichte ist so eine interessante Topographie des menschlichen Gehirns entstanden. Man betrachte die Abbildungen 5.1 und 5.6 als Resultate, welche zur Zeit durch die bildgebenden Verfahren bestätigt oder revidiert werden.

Neben der Untersuchung von permanenten Hirnschädigungen gibt es auch die Untersuchung der reversible Schädigungen. Solche zeitweiligen Schäden, wobei einige frühere permanente Schädigungen heute neu klassifiziert werden müssen, erlauben einen direkten Rückschluss, da die Person ihre Eindrücke schildern kann. Als Beispiel sei die Stimulierung von Hirnbereichen während eines operativen Eingriffs am Gehirn erwähnt, wo ein Patient plötzlich Eindrücke schilderte, die nicht über die Sinnesorgane (vgl. (Nør97), (Ecc00)) bestimmt waren. Solche kurzzeitigen Störungen lassen Modelle zu, mit denen man die Wechselwirkungen der Hirnbereiche erklären kann.

Natürlich standen für die Untersuchung auch die Gehirne von Toten, besonderen in den Anfangstagen der modernen Wissenschaft, zur Verfügung. Mit solchen, meist konservierten Gehirnen (Bur05), konnte man die Anatomie und die Struktur des Organs studieren. Es war lange Zeit die einzige Methode ein Hirn und deren Details als Ganzes zu untersuchen. Man hat die Gehirne entweder als Ganzes konserviert oder die interessierenden Bereiche durch Schnitte zerteilt. Als Beispiel sei die Abbildung  1.9 angeführt. In der medizinischen Forschung und Behandlung hat man aber auch positive Erfolge mit der operativen Trennung der Verbindung der beiden Hirnhemisphären bei Epilepsiepatienten gehabt (Lur92).

Bei der Erforschung von toten Gehirnen hat man auch deren Gewebestruktuen untersucht. Im Laufe der Entwicklung hat man das Gewebe immer besser hervorgehoben und verstanden. Das Einfärben von Nervengewebe geht auf die Methode des Histologen Ramón y Cajal und des Zytologen Camillo Golgi zurück. Wie bereits im Abschnitt 3.4 gesagt, konnte man jetzt Neuronentypen erkennen. Diese beiden Wissenschaftler waren die Ersten, welche mittels der Einfärbung Nervengewebe sichtbar machten und haben dafür 1906 den Nobelpreis erhalten. Mit der Imprägnierung mittels Silber-, Quecksilber- oder Goldverbindungen konnten und können auch die Strukturen von Neuronen (Wol88) sichtbar gemacht werden.


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Abbildung 5.8: Untersuchungen mittels Schnitt-Techniken a) verdeutlichen die Anatomie des Gehirns. Details der Struktur erkennt man mittels Präparation b), z.B. von Neuronen.


Abbildung 5.8 fasst die Schnitt-Technik und die Gewebeeinfärbung zusammen. Das Bild zeigt einen Schnitt durch ein Gehirn, zu erkennen ist ein Schnitt durch die Zentralfurche (vgl. auch Abbildung  5.1) und die Einfärbung von Nervengewebe. Allerdings erhält man mit solchen Techniken nur Rückschlüsse auf die Lokalisierung auf die wirklichen Orte dieser Anatomiebereiche beziehungsweise der daran beteiligten Neuronen.

Die bisher aufgeführten Verfahren haben die die Dynamik der stattfindenden Prozesse nicht berücksichtigen können. Sie basieren auf Beobachtung, Intention, logischer Schlussfolgerung und Vermutung. Um die Wechselwirkungen und das dynamische Verhalten zu besser erklären zu können muss man ins Innere des Gehirn vordringen. Dies bei bei der Komplexität des Gehirns schwierig, da der direkte Zugang bei einem Menschen nur in besonderen Fällen möglich ist. Da aber das Gehirn ein Produkt der biologischen Evolution ist, kann man über die Gehirne von Tieren und deren Untersuchung zu Ergebnissen gelangen (Kan06). Ein Ansatz der Untersuchung ist die Feststellung von Signalen, welches ein Gehirn erzeugt. Mit der Verfügbarkeit moderner Technik und der zunehmenden Verflechtung der Naturwissenschaften kommen zunehmend immer eine Kombination von Untersuchungen, so die elektrischen und magnetischen Verfahren, die bildgebenden Verfahren oder chemische Methoden aus der Molekularbiologie zum Einsatz.

Eines der bekanntesten elektrischen Verfahren der Aufzeichnung von Gehirnaktivitäten ist das Elektroenzephalogramm (EEG).


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Abbildung 5.9: Prinzip der ElektroEnzephaloGrafie (EEG), rechts sieht man die Elektroden am Kopf, in der Mitte ein EEG-Gerät und links ein mögliches Aufzeichnungsergebnis.


Hier werden auf der Oberfläche (Kopf oder Hirn) die zusammengesetzten elektrischen Signale der Hirnbereiche erfasst. Man kann die Aktivitäten von Gehirnregionen erfassen, aber nichts über das Verhalten der Elemente innerhalb der Region aussagen. Im Tierversuch sind zwar Methoden möglich, die dass Einführen von Tiefenelektroden in den Bereich erlauben, aber dies hat dann häufig nichts mit dem menschlichen Verhalten zu tun. Hier helfen Analogiemodelle. Beim ERP (engl. Event-Related Potential) werden Signale erfasst, die zeitgleich auf einen sensomotorischen Reiz oder ein motorisches Ereignis (z.B. Stromstoß) auftreten. Zusammen mit dem EEG wird hier das Zeitverhalten von Reizen auf bestimmte Bereiche oder Strukturelemente in Gehirn erkennbar. Man nennt diese Techniken auch elektropsychologische Verfahren. Da der Aktivierungsimpuls eines Neurons meistens elektrischer Natur ist, entstehen somit erfassbare elektrische und magnetische Felder. Genauer wird dies im folgendem Kapitel erläutert. Während das EEG ein Verfahren der Erfassung von elektrischen angeregten Signalen ist. Dies basieren auf einer Abfolge von Aktionspotentialen der Neuronen in einem jeweiligen Gehirnbereich. Das Magneto Enzephalo Gramm (MEG) beruht auch auf der Erfassung von magnetischen Signalen. Diese ergeben sich nach den den Gesetzen der Physik, vgl. Maxwell-Gleichungen, zwangsläufig. Es werden Stromquellen registriert, indem man sie mit den Eigenschaften der Informationsverarbeitung korrelieren lässt. Ein Beispiel hierfür ist der Schwänzeltanz der Bienen. Details zu den Verfahren findet man in (Wol88), (PiSC97) oder in der entsprechenden Fachliteratur.

Bildgebende Verfahren sind seit der Entwicklung der Röntgentechnik möglich. Mit dieser Technik war und ist es möglich, unter der Verwendung von Kontrastmittel, bestimmte Hirnbereiche sichtbar zu machen. Trotzdem war die Genauigkeit dieses Verfahrens nicht sehr hoch. Die eigentliche Entwicklung der Bildmethoden, also der Abbildungsverfahren, setzte mit dem Einsatz der Computertechnologie ein. Die tomografischen Verfahren basieren auf einer schichtenweise Aufnahme der jeweiligen Bereiche, analog der Schnitt-Techniken oder Einfärbeverfahren. Mit diesen Methoden können Querschnitte des Gehirns gemacht werden, die anschliessend auch in entsprechende 3D-Ansichten überführt werden können.

Mit der Computertomographie (CT) auf Röntgenbasis erreicht man eine Auflösung von 1mm. Dies ist gut für die Modellentwicklung von Strukturbereichen. Mit der MRI-Technik (engl. Magnetic Resonance Imaging) kann man Auflösungen von 100μm erreichen. Bei der MRI-Technik wird das Gehirn einem Magnetfeld ausgesetzt. Durch die Aufnahme der Veränderung der magnetischen Orientierung der Atome des entsprechenden Hirnbereiches kann man Strukturelemente oder Schädigungen bestimmen.


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Abbildung 5.10: Das Prinzip der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT).


Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) wird verwendet um Aktivitäten im Gehirn festzustellen bzw. aufzuzeichnen, vgl. (Spi02, S. 5478). Hier wird das sauerstoffreiche Blut sichtbar gemacht, da aktivierte Hirnbereiche einen sehr hohen Verbrauch an Sauerstoff haben. Da die MRI auf Wasserstoff basiert, kann es zu Problemen mit anderen Elementen kommen. Die Kombination von chemischen Methoden und Abbildungsverfahren erlaubt eine Lösung solcher Schwierigkeiten. Hier wird der Zusammenhang zwischen elektrischer Aktivität und dem Stoffwechsel ausgenutzt. Dabei wird ein schwach radioaktiver und dem Zucker ähnlicher Stoff ins Blut gegeben. Dieser bewirkt dann bei Neuronen einen erhöhten Stoffwechsel. Man nennt diese Methode 2-Desoxyglucose-Technik (2-DG). Eine Abbildung erhält man mittels der Positronenemissionstomographie (PET), vgl. (Tho94) und (Ecc99).

Chemische Verfahren werden verwendet, wenn man den Injektionsbereich für solche Stellen genau lokalisieren kann. Tierversuche waren hier richtungweisend, vgl. (Kan06) und (Dam04). Man kann reversible Hirnschäden durch Blockade von chemischen Vorgängen (z.B. Glutamat-Rezeptoren) bzw. deren Verstärkung bewirken (z.B. Rauschgifte). Die Überreaktionen oder Ausfallerscheinungen können den Hirnbereich determinieren. Es sind auch gezielte Tierversuche möglich, welche Analogien zum Menschen erlauben. Mit Hilfe von Tierexperimenten wurden die Grundlagen von Schlaf und Traum herausgefunden. Mit diesen Verfahren konnten qualitative Modelle des Gehirns erstellt werden. Man erkennt mit diesen Methoden die molekulare Struktur und deren Abläufe in einem Hirn. Durch die moderne Biotechnologie werden diese Verfahren zunehmend verfeinert (z.B. Klonierung von Rezeptoren für Neurotransmitter) werden. Die Entwicklungen in der Molekularbiologie und Gentechnik werden hier sicherlich noch tiefere Erkenntnisse liefern (Tho94).


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Abbildung 5.11: Erforschung des Gehirns mittels bildgebender Verfahren. Man kann detaillierte Modelle bestimmter Bereiche erzeugen und analysieren.


Die Resultate der sich ständig entwickelten Untersuchungsmethoden werden bei der Analyse der Struktur des Gehirns, deren Arbeitsweise bei der Verarbeitung von Informationen verwendet. Dabei ergeben sich verschiedene Ebenen der neuronalen Architektur. Das sind die Neuronen, als die unterste Ebene, das Fundament. Auf diesen Fundament bilden sich Ensemble von Neuronen, die biologischen neuronalen Netzwerke. Diese Ensemble sind Bestandteile von Hirnzentren, den Kernen. Diese agieren in den jeweiligen Hirnrinden. Diese bilden dann Systeme mit den restlichen Einheiten. Die Dynamik kann auf verschiedenen Ebenen darstellen. Damit werden Modelle gebildet, welche man dann auf einem Rechner simulieren kann. Oder man abstrahiert aus den Erkenntnissen über das Gehirn geeignete KNN, die im Rahmen einer speziellen Anwendung, z.B. Gesichtserkennung, zu Tragen kommen. In Abb. 5.11 ist eine solche Modellbildung angedeutet.

Für die weitere Abhandlung werden die Resultate dieser Verfahren mit der Informationsverarbeitung in Zusammenhang gebracht, um hieraus entsprechende Modelle zu simulieren und zu entwerfen. Für das Verständnis des Gehirns als System sind sowohl die Neuronen, die „Verarbeitungselemente“, als die Basiszellen und das Zusammenwirken von Struktur und Funktion von Bedeutung. Das Gehirn wird als ein dynamisches System (vgl. (Ede93) und  (Ede95)) betrachtet, dessen kleinste Einheit ein Neuron darstellt.