6.  Das Neuron, eine Zelle zur Informationsverarbeitung

 6.1  Der äussere Aufbau von Neuronen
 6.2  Neuronentypen
 6.3  Wirkung- und Arbeitsweise von Neuronen
     6.3.1  Der innere Aufbau einer Neurone
     6.3.2  Potentiale von Neuronen
     6.3.3  Der synapische Übergang bei Neuronen

6.1.  Der äussere Aufbau von Neuronen

Bei einem Lebewesen ist die Zelle ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste, Grundbaustein. So besteht auch ein Nervensystem wie das Gehirn oder biologische neuronale Netze aus Zellen. Den Hauptteil dieser Zellen wird als Neuronen bezeichnet. Von dem bisher behandelten Gehirn ist das Neuron die kleinste Einheit.

Man kann sagen: „Eine Kreatur, die denkt, weiß fast nichts von dem Substrat, der Grundlage, welche ihr den Vollzug des Denkens ermöglicht, aber dafür weiß sie um mehr von ihrer symbolischen Interpretation der Welt, und sehr intim kennt sie vor allem etwas, das sie »Ich« nennt.“ (Hof08, S. 230). Mit der „symbolischen Interpretation“ bezieht sich Douglas Hofstadter auf die Formen der Wahrnehmung. Die Abbildung 6.1 zeigt ein einfaches Neuronenmodell. Neben der Vielzahl von Neuronen gibt es im Gehirn noch andere Zelle, z.B. die Gliazellen. Neuere Forschungen, vgl. (Fie04, S. 4656), zeigen, dass die Gliazellen nicht bloß eine Art Stützgewebe für die Neuronen sind, sondern ebenfalls an der Informationsverarbeitung im Gehirn beteiligt sind.


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Abbildung 6.1: Skizze einer einfachen Neurone mit den wichtigsten Bezeichnungen


Ein wichtiger Unterschied der Neuronen zu anderen biologischen Zellen ist, dass sie sich nach ihrer Bildung nicht mehr zu vermehren scheinen. Man glaubte lange Zeit, das sich in einem ausgewachsenen Gehirn keine neuen Neuronen mehr bilden. Neuere Forschungen haben jedoch die Tatsache eine Neurogenese bestätigt, vgl. Artikel in (Sch02, Seite 8687 ), in (FA05) oder die Darstellung von Forschungsergebnissen im Internet zu diesem Thema, d.h. es scheinen sich in bestimmten Hirnregionen Neuronen wieder zu regenerieren. Der Mechanismus ist noch allerdings noch unklar und die gefundene Regeneration, ähnlich einer Gewebeneubildung nach einer Zellzerstörung, hat auch nicht den gleichen Umfang. Die Ursache für dieses Verhalten wird gegenwärtig mit den modernen Methoden, ähnlich der im Abschnitt 5.3 angeführten, weiter untersucht und zunehmend verstanden.

In diesen und den nachfolgenden Abschnitten geht es nur einem Abriss über den Aufbau und die Funktion des Neurons. Dabei werden auch Erkenntnisse über die Neuronentätigkeit einer Meeresschnecke (Aplysia californica) einfliessen. Dieses Wissen ist deshalb interessant, da man hier relativ große Neuronen separat untersuchen konnte, vgl. (Kan06). Neuronen kommen in verschiedensten Modellen vor. Eine übliche Art und Weise der Betrachtung zeigt die Abbildung 6.1. Neuronen sind eigentlich normale Zellen, welche sich im Laufe der Evolution auf die Verarbeitung von Informationen spezialisiert haben. Sie übertragen Informationen auf andere Neuronen oder senden und empfangen Informationen aus den Muskel- oder Drüsenzellen.

Ein Neuron ist eine Struktur, auf dessen Zellkörper (Soma, manchmal auch als Perikaryon bezeichnet.) es viele Fortsätze gibt. Der Zellkörper eines Neurons enthält, wie viele andere organische Zellen, einen Zellkern (Nucleus) und verschiedenste Organellen, genaueres ist in der Abbildung 6.4 zu sehen, von denen die Mitochondrien die Wichtigsten sind. Sie stellen letztlich die Energie für das Neuron zur Verfügung. Hierzu benötigen sie Sauerstoff und Glukose. Die Fortsätze von Neuronen werden meist als Dendriten bezeichnet. Einer der wichtigsten Fortsätze, aus der Sicht der Informationsverarbeitung und der Modellbildung für die KNN, ist das Axon. Es hat meist ein zylinderförmiges Aussehen.

Am Ende eines Axons bilden sich, in Richtung der mit dem Neuron verbundenen Nachbarzelle (Sensor- oder Muskelgewebe oder andere Neuronen), bestimmte Verdickungen. Diese Verdickungen werden Synapsen genannt. Die Weiterleitung eines in dem Neuron entstehenden Aktionspotentials, letztlich eine Erregung oder Hemmung des Neurons, zu diesen Synapsen oder Verbindungsenden, erfolgt über dieses Axon des Neurons, meist in Richtung des angedeuteten Pfeils in der Abbildung 6.1. Hemmung oder Erregung sind die Aktivierung des Neurons, ähnlich der Schalterpositionen Ein oder Aus. Über das Axon werden bei einer Neuronenaktivität elektrische Potentiale geleitet und somit chemische Substanzen vom oder zum Zellkörper transportiert. Die Synapse als Form der Verbindung von Zellen kommt in dieser Art und Weise nur im Nervengewebe vor. Es ist der Ort des direkten Kontakts zwischen zwei Zellen im Nervengewebe.

Auf den Dendriten und dem Zellkörper befinden sich eine Vielzahl dieser Synapsen. An diesen Synapsen werden die Informationen zwischen den Neuronen (Hirnbereiche oder Areale) oder den Transduktoren (Übergang zum Muskelgewebe), den Verbindungen zwischen Nervengewebe und sensorischen Gewebe, ausgetauscht. Der Informationsaustausch ist ein typisches Merkmal, besonders im Großhirnbereich, für die Neuronen. Dieser Übergang wird im Abschnitt 6.3.3 behandelt.Diese Informationsverarbeitung ist nicht binär, wie bei einem Computer, sondern gleicht eher eine Modulation von Signalen. Genauere Einzelheiten zu dem Aufbau von Neuronen und ihren Wechselwirkungen findet man in (PiSC97), (Ecc00) und (dW92).

6.2.  Neuronentypen

Trotz des relativ gleichartigen funktionellen Aufbaus von Neuronen lassen sich diese auf Grundlage ihrer Funktion in unterschiedliche Typen einteilen. Man unterscheidet bei den Neuronen, im Zusammenhang mit der Sinneswahrnehmung zwischen sensorischen Neuronen oder Rezeptoren (Sensorneuron) als den Detektoren der Sinne, den motorischen Sensoren (Motoneuron) als den Reaktoren oder Effektoren für die Reaktionen auf Sinneswahrnehmungen. Ferner gibt es noch die Hauptneuronen und die Zwischenneuronen (Interneuronen). Die Hauptneuronen sind große Nervenzellen innerhalb der bereits mehrfach erwähnten Gehirnbereiche, welche mit anderen Bereichen in Verbindung stehen (z.B. Thalamus mit der Sehrinde), wohingegen die Interneuronen den jeweiligen Bereich nicht überschreiten und als neuronale Netze zwischen den Sensor- und Moto- oder Haupt-Neuronen vermitteln.


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Abbildung 6.2: Rechts kann man die Neuronen im eingefärbten Gewebe erkennen und links werden Strukturbilder von Neuronentypen gezeigt.


Die Abbildung 6.2 a zeigt Neuronenstrukturen, die nach der Methode von Ramón y Cajal aus toten Gehirnen herausgeschnitten und eingefärbt wurden. Dabei zeigt sich ein gleichförmiger Aufbau. Zum Beispiel zeigen Schnitte in das Gewebe der menschlichen Großhirnrinde einige Neuronenstrukturen und man kann in Abbildung 6.2 a einige Neuronen erkennen. Die Schnitt und Präparationstechniken für Nervengewebe sind im Abschnitt 5.3, vgl. Abbildung  5.8, bereits schon mal aufgetaucht. Die unterschiedlichen Neuronen stellen verschiedene Arten dar, wie sie in der Abbildung 6.2 b aufgezählt werden. Sie stellen eine Verallgemeinerung, die sich aus den komplexen Bildern des eingefärbten Hirngewebe ergeben, dar.

Der obere Teil in der Abbildung 6.2 a lässt pyramidenartige Motoneuronen erkennen. Das Motoneuron ist der am leichtesten identifizierbare Typ eines Neurons. Motoneuronen bilden sehr häufig die Grundlage für die Modelle für die KNN zur Simulation oder für die Anwendung. Nach dieser Einteilung ist das Neuron in der Abbildung 6.1 eine solches Motoneuron. Merkmal dieser Zellen sind ein großer bzw. ausgeprägter Zellkörper, ein umfangreicher Dendriten-Baum und ein langes ausgeprägtes Axon.

Im Rückenmark befinden sich die Zellkörper der Motoneuronen, die mit der Körpermuskulatur im Zusammenhang stehen. Bei der Versorgung der Gesichtsmuskeln und des Kopfes sind diese Somata im Hirnstamm zu finden. Motoneuronen sind mit ihren Synapsen am Ende mit den Fasern von Muskeln verbunden. Deshalb leiten sie die neuronale Informationen zu den Muskeln, sie beeinflussen (erregen oder hemmen) die Motorik des Körpers. Das Axon der Motoneuronen ist von Myelin umgeben. Diese fetthaltige und isolierende Umhüllung des Axon, eine Art Hilfsgewebe, verbessert die Übertagungsfähigkeiten der Aktionspotentiale, vgl. auch Abbildung 6.1.

Ein weiterer Typ sind die Sensorneuronen, auch sensorische Nervenzellen genannt. Der untere Teil in Abbildung 6.2 a zeigt solche sternförmigen Zellen. Sie empfangen die Reaktionen aus dem Körper. Im Gegensatz zu den Motoneuronen sind hier die Dendriten besonders ausgebildet. Analog zu den Motoneuronen sind die Dendriten-Fasern ebenfalls mit Myelin umgeben. Die Zellkörper der Sensorneuronen ist in Gruppen außerhalb des Rückenmarks zu finden. Man nennt sie auch Spiralganglien. Innerhalb des Gehirns ist die Unterscheidung allerdings schwierig. Die Aktivierung von Sensorneuronen erfolgt über die jeweiligen Rezeptoren. Die Umformung von physikalischen und chemischen Zuständen erfolgt über die Synapsen in elektrische Potentiale, z.B. das Aktionspotential, siehe auch Abschnitt 6.3.2. Es findet eine Transduktion, die Reiz-Erregungs-Übertragung, statt.

Innerhalb des Gehirns gibt es eine große Menge von Neuronen. Schätzungen vermuten eine Anzahl von 1011 Neuronen. Man unterscheidet hier im wesentlichen zwischen zwei Arten. Die Hauptneuronen, als die eine Art, sind große Zellen innerhalb eines Gehirnbereiches. Ihre Verbindungen kommunizieren mit den Neuronen in anderen Regionen. Um die Leitfähigkeit zu erhöhen besitzen diese Neuronen ebenfalls eine Umhüllung aus Myelin, d.h. ihr Axon ist myelinisiert. Damit kann man Hauptneuronen nach Modellvorstellungen praktisch als die Ausgabeneuronen der jeweiligen Hirnregion betrachten. Das Axon von Interneuronen, der zweiten Art, reicht nicht in andere Bereiche des Gehirns hinein. Deshalb werden Informationen nur an die nächsten umliegenden Nervenzellen übertragen. Manche Interneuronen haben kein Axon (vgl. Abbildung 6.2 b) ausgebildet. Meistens sind Interneuronen zwischen Nervenzellen in Regionen oder Arealen mit zulaufenden bzw. weglaufenden Informationen zu finden. Man bezeichnet sie auch als Zwischenneuronen. Sie bestimmen durch ihre Verarbeitung die Struktur der Information, welche dann an die Hauptneuronen weitergeleitet wird, damit letztlich Hirnbereiche entsprechend reagieren. Die Tabelle 6.1 fasst die wichtigsten Neuronentypen nochmals zusammen.





NeuronentypenEigenschaft Anwendung



Hauptneuron Verbindungselement Kommunikation



Interneuron Strukturelement Strukturfilter



Sensorneuron Reizempfänger/FilterSignalaufnahme



Motoneuron Reizsender/Filter Signalabgabe




Tabelle 6.1: Die wichtigsten Typen von Neuronen

Die in diesem Abschnitt verwendete Unterteilung ist nur eine von mehreren möglichen Kategorien der Unterteilung. So werden Neuronen z.T. auch nach ihrer Geometrie oder nach ihrer Lage in den Hirnbereichen unterteilt. Die Einteilung nach der Tabelle 6.1 wurde hier gewählt um von dieser einfachen Unterteilung ein besseres Verständnis für Abstraktion der Modelle von KNN, die im Teil III „Grundlagen und Wissensstand Künstliche Neuronale Netze“ genauer beschrieben werden, zu erreichen. Mehr zu der angeführten Unterteilung kann in (Tho94) oder (uFS01, S. 3644) nachgelesen werden. Neuere Ergebnisse aus der Hirnforschung haben Spiegelneuronen belegt, welche sowohl an den sensorischen bzw. motorischen Funktionen beteiligt sind, aber auch solche Vorgänge nur simulieren. Dies bedeutet, dass diese Art der Neuronen Vorgänge simuliert, die auf Grund der Wechselwirkung mit der Umwelt auftreten könnten. Sie spiegeln also das Verhalten von Neuronenvorgängen, nachzulesen mit Literaturangabe in (Bre02, S. 7071) und in (GR08).

6.3.  Wirkung- und Arbeitsweise von Neuronen

6.3.1.  Der innere Aufbau einer Neurone

Es wurde bereits angesprochen, Neuronen sind durch die evolutionäre Entwicklung besonders geeignet Informationen zu verarbeiten. Eine kurze Beschreibung der Funktion von Neuronen und deren Folgen für die Dynamik von realen neuronalen Netzen (vgl. (Ede93)) hilft für das Verständnis der KNN, auch bei der Feststellung von Unterschieden. Die Neuronen, wie gesagt, sind als Zellen spezialisiert um Informationen zu leiten und auf andere Zellen bzw. Neuronen zu übertragen. Die Information bewegt sich mittels von Signalen zwischen den Nervenzellen mit einer Geschwindigkeit z.B. von ca. 300 km/h bei einer Wahrnehmung. Die verschiedenen Typen von Neuronen wurden im letzten Abschnitt erwähnt. Jetzt sollen die grundsätzlichen Wechselwirkungen, die Funktionen der Informationsübertragung und der innere Aufbau eines Neurons erläutert werden. Man unterscheidet bei dem Aufbau und der Funktion von Neuronen zwischen dem Verhalten als Zelle und der Funktion, die diese Neuronen in einem System oder einem Schaltwerk ausführt. Die Neurobiologie ermöglicht die Aufklärung der zellulären (äusserer Neuronenaufbau) und molekularen (innerer Neuronenaufbau) Mechanismen (vgl. (Cal00) und (FA05)).


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Abbildung 6.3: Schematischer Aufbau eines Neuronenverbundes, mit den Bezeichungen der äussren Komponenten eines Neurons.


Abbildung 6.3 zeigt nochmals den äusseren Grundaufbau von Neuronen, diesmal in einem Neuronenverbund. Die Struktur der Neuronenzelle ist auf einen Informationsaustausch, meist über chemische Prozesse, ausgelegt, d.h. auf die Träger der Information. Die Zellwand bzw. Plasma-Membran trennt das Neuron als Zelle von ihrer Umgebung. Die Dicke dieser Membran beträgt ca. 510 nm und besteht zum großen Teil aus Fettsäuren. In diesen Fettsäuren sind Phospholipide und andere Lipide, Cholesterin und weitere Proteinmoleküle enthalten. Weitere Details zum Aufbau von Neuronen findet man in den Büchern von (Tho94, Kapitel 3) und auch in (Ecc00) und  (Ecc99). Einige der Proteinmoleküle in einer Nervenzelle haben die Funktion von chemischen Rezeptoren. Damit werden chemische Botenstoffe identifiziert, deren Erkennung abhängig von der elektrischen Ladung und der Molekülform ist.

In der Membranen sind selektiv durchlässigen Poren enthalten, die auch Ionenkanäle genannt werden. Diese bilden Kanäle für Ionen, wie Natrium, Kalium oder Chlorid. Für jede der Ionen gibt es eigene Kanäle. Über diese Kanäle erfolgt ein Ladungsaustausch, was letztlich die Fortpflanzung von Potentialen erlaubt. Die Aufrechterhaltung der unterschiedlichen Ionenkonzentrationen an der Zellmembran und im Zellinneren wird durch einen molekularen Mechanismus umgesetzt, welcher ähnlich wie eine Pumpe, Ionen gegen das natürliche Konzentrationsgefälle durch die Membran transportiert. Die Funktion der Zellmembran eines Neurons zur Trennung der jeweiligen Ionenkonzentration ist eine typische Zelleigenschaft.


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Abbildung 6.4: Der innere Aufbau eines Neurons mit einer Vergrößerung eines Axons-Ausschnitts.


Die Abbildung 6.4 zeigt eine vereinfachte Darstellung der inneren Struktur und verdeutlicht auch einige Wechselwirkungen in des Neurons. In der Nähe des Zellkerns findet man das endoplasmatische Reticulum und den Golgi-Apparat. Mit Hilfe dieser Objekte ist das Neuron in der Lage chemische Substanzen wie Proteine, Peptite oder Transmitter zu bilden und zu reproduzieren. Im Golgi-Apparat werden diese Substanzen in Vesikel untergebracht und innerhalb der Neurone als Botenstoff bereitgestellt. In der Fachliteratur kann man über die innere Struktur in  (Wol88) oder in (Rob95, ab S. 155) nachlesen.

6.3.2.  Potentiale von Neuronen

In den letzten Abschnitten wurden bereits mehrfach die Potentiale, siehe Abbildung 6.5, von Neuronen erwähnt, welche wichtig für die Informationsverarbeitung sind, sie kennzeichnen die Aktivierung eines Neurons. Die für die Potentialbildung verantwortlichen Prozesse können im Rahmen dieses Buches nur grob angedeutet werden.


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Abbildung 6.5: Das Ruhe- und Aktionspotentiale einer einzelnen Neurons.


Im Ruhezustand eines Neurons besteht ein elektrisches Potential Ψ, welches eigentlich eine Differenz darstellt, zwischen dem Inneren des Zellkörpers und dem äusseren Rand der Zellmembran:

Δ  ΨR  = Ψinnen - Ψauen.
(6.1)

Für diese Ruhepotentialdifferenz sind positive Natrium- und Kaliumionen sowie negative Chloridionen und organische Anionen verantwortlich. In extrazelluären Bereich dominieren negative Natrium- und Kalziomionen, während im Zellkörper des Neurons positive Kalium- und Chlorionen vorhanden sind. Eine Neuronenzelle, zumindest die äußere Membranwand, scheint in eine Art Natriumchloridlösung eingebettet zu sein. Eine qualitative Beschreibung des Ruhepotential kann mittels der Nernst-Gleichung erfolgen, mit der man Potentialunterschiede berechnen kann, wenn sich Ionen in einen Gleichgewichtszustand befinden:

                 [  ]
         RT--     Ia
Δ  ΨR =  kF   log  Ii  .
(6.2)

In der Gleichung 6.2 ist R die allgemeine Gaskonstante (R = 8.31441 103 kmJolK-), F die Faraday-Konstante (F = 9.64853 107 -C--
kmol), k die Ladung des Ions I und T die absolute Temperatur. IaIi kennzeichnet das Verhältnis äusserer und innerer Ionenkonzentration. Durch die Berechnung der Konstanten und der Annahme von Raumtemperatur wird Gleichung 6.2 zu

                   [  ]
                    Ia
Δ  ΨR =  58mV   log  --  .
                    Ii
(6.3)

Durch die unterschiedliche Konzentrationsverteilung diffundieren Kaliumionen durch die entsprechenden Ionenkanäle von innen nach außen und Chloridionen in der entgegengesetzten Richtung. Aus diesem Grund kommt es zu einem Ladungsaustausch. Es bildet sich ein Membranpotentialdifferenz Δ ΨR von -70mV. Wird diese Differenz größer, so wird es für die positiven Kaliumionen schwierig zu diffundieren, denn dies wird vom negativen Inneren des Neurons erschwert. Analog gilt dies auch für die äußeren Chloridionen. Der ständige Ionentransport durch die Membran müsste eigentlich die Differenz Δ ΨR abbauen. Dies ist aber nicht der Fall, denn die in der Membran eingebauten Ionenpumpen (in den Abbildungen 6.4 und 6.5 angedeutet) bewirken einen Transport entgegen diesem Konzentrationsgefälle. Details findet man in (Tho94) und (Ecc00). Dabei bewegen sich Na+-Ionen nach außen und K+-Ionen nach innen. Diese Pumpen bewirken letztlich einen Gleichgewichtszustand für eine Differenz Δ ΨR, mit der die bereits erwähnte Größe der Ruhepotentialdifferenz bestimmt werden kann. Vereinfachend wird in der Literatur häufig von der Potentialdifferenz als Potential gesprochen.

In der Gleichung 6.3 werden jedoch nicht alle Ionenverhältnisse berücksichtigt. Deshalb wurde diese Nernst-Gleichung erweitert. Mit der Gleichung 6.4 nach Goldmann wird das Ruhepotential beschrieben, welches in Abbildung 6.5 angedeutet ist, unter Berücksichtigung der Ionendurchlässigkeit mit

                [                         +                 -      ]
         RT--     PK-[K+--]aussen--+--PNa-[N-a--]aussen--+--PCl[Cl--]aussen-
Δ ΨR  =  kF  log   PK [K+  ]innen +  PNa [N a+]innen +  PCl [Cl - ]innen
(6.4)

wobei P die Permeabilität der Membran für die jeweiligen Ionen, also die Diffusionsmöglichkeit, beschreibt. Bei Raumtemperatur folgt dann, analog zu Gleichung 6.3

                   [                                                  ]
                    PK [K+  ]aussen  +  PNa[N a+ ]aussen  +  PCl[Cl - ]aussen
Δ  ΨR  = 58mV   log -------+------------------+-----------------------  .
                      PK [K   ]innen +  PNa [N a  ]innen +  PCl[Cl  ]innen
(6.5)

Eine genauere Ableitung der Ruhepotentialdifferenz und der Mechanismen des Ionenaustausches wird unter anderem in (Ecc00), (JGN92) oder in  (Tho94) beschrieben.

Die letzten Aussagen treffen eigentlich für alle biologischen Zellen zu. Bei den Neuronen kommt aber jetzt ein entscheidender Unterschied hinzu. Für die Informationsverarbeitung benötigen Neuronen aktive Mechanismen, um diese Übertragung zu ermöglichen. Die Kommunikation der Neuronen basiert nicht auf den bisher erläuterten Änderung der Membranpotentiale. Sie bilden lediglich die Grundlage für den Aufbau und die Fortleitung von Aktionspotentialen. Es gibt fortlaufende Differenzen und diese verteilen sich räumlich am Neuronenzellkörper, meist am Axon aus. Durch das selektive Öffnen oder Schließen von Ionenkanälen, vgl. Abbildung 6.5, kann ein Aktionspotential erzeugt und weitergeleitet werden.

6.3.3.  Der synapische Übergang bei Neuronen

Ein Neuron generiert ein Aktionspotential ΔΨA, wenn z.B. von einer an diese Zelle angekoppeltes Neuron, das sogenannte Postneuron, eine synaptische Verarbeitung deren Potentiale über die Synapse am Zellkörper oder genauer an dem Dendriten des Neurons stattfindet. Beispiele für solche gekoppelten Neuronen zeigen die Abb. 6.3 und Abb. 6.7. Hier ist letztlich eine der Grundlagen für die biologischen neuronalen Netze.

Das Aktionspotential steht im Zusammenhang mit den Ionenkanälen. Das Schließen oder Öffnen von vielen Ionenkanälen erfolgt spannungsgesteuert, es muss eine Schwelle über- bzw. unterschritten (ca. -60mV-40mV, je nach Ionen) werden, um diese Mechanismen zu aktivieren. Es erfolgt der syanpische Übergang sobald diese Schwelle erreicht wird. Dabei kommt es Δ Ψ(t) < Δ ΨR eine Hyperpolarisation und bei Δ Ψ(t) > Δ ΨR eine Depolarisation, d.h abhängig von den Potentialzuständen kann es zu keiner unmittelbaren Neubildung eines ΔΨA kommen. Dadurch ähnelt die Abfolge von Aktionspotentialen ΔΨA einer Kette von Spikes, die zeitlich variabel ist. Im Falle einer erfolgreichen Aktivierung des Neurons gilt Δ Ψ(t) = ΔΨA.


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Abbildung 6.6: Ein einzelnes Aktionspotential und die Erregung in Form von Spikes


Wie bereits erwähnt wird eine starke Potentialänderung erreicht, indem sich die Ionenkanäle auf dem Axon entweder über Spannungen oder geeignete Transmitterstoffe öffnen oder schließen. So kommt es zu einer Änderung, wenn sich die Na+-Ionenkanäle öffnen. Dann wirken Diffusion und elektrische Kraft in die gleiche Richtung. Somit strömen erheblich mehr Na+-Ionen ins Zellinnere. Das Ruhepotential wird depolarisiert. Es entsteht ein Gleichgewicht an Na+-Ionen. Das Aktionspotential ΔΨ A erreicht seinen höchsten Wert bei +20mV. Aber dies bewirkt auch ein Schließen dieser Kanäle, und die Zellmembrane ist für Na+-Ionen nicht mehr durchlässig, ΔΨA baut sich wieder ab. Ähnliches passiert mit den K+-Ionen. Nur ist die Anzahl der K+-Ionenkanäle nicht so hoch. Hierbei erreicht das Potential ΔΨ A fast den Wert von ΔΨR. Die Konzentrationsverhältnisse sind aber noch nicht korrekt. Deshalb wird das Potential kurzzeitig hyperpolarisiert, ca. -80mV-90mV. Jetzt werden wieder die Ionenpumpen aktiv. Erst wenn das Ruhepotential wieder erreicht ist, kann ein Neuron wieder ein Aktionspotential generieren. Die Änderung des Potentials wirkt zunächst auf einen kleinen Bereich der Neuronmembran. Dies wird in der Abbildung 6.5 angedeutet.

Während des Einströmens von Na+-Ionen ins Neuroneninnere, meist in das Axon, wird die Membran positiv und erreicht die Schwellenspannung für andere Kanäle. Diese öffnen sich jetzt und Na+-Ionen können ausströmen. Es hat sich ein elektrischer Kreislauf gebildet. Während des Einströmens von Na+-Ionen ins Neuroneninnere, meist in das Axon, wird die Membran positiv und erreicht die Schwellenspannung für andere Kanäle. Diese öffnen sich jetzt und Na+-Ionen können ausströmen. An der benachbarten Membraninnenseite wird das Potential stark positiv. Erreicht er das Schwellenpotential, öffnen sich jetzt hier die Ionenkanäle und das Aktionspotential kann sich hier entwickeln. Die Richtung des Fortpflanzung des Aktionspotentials geht von dem Ort der ersten Bildung am Zellkörper über das Axon zur Synapse. Diese Potentiale werden vorwiegend am Axon-Hügel gebildet und über das Axon, wie oben angesprochen, zur synaptischen Endigung weitergeleitet. Aktionspotentiale bilden eine Abfolge, die immer eine ähnliche Form haben und sich längs der Zellmembran ausbreiten. Die Geschwindigkeit beträgt ca. 1100 ms-1. Erreicht das ΔΨ A bei ca. +20mV die maximale Spitze, depolarisiert sich das Membranenpotential im nachfolgenden Abschnitt des Axons. Abbildung 6.7 zeigt die Bewegungsrichtung.


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Abbildung 6.7: Bewegungrichtung des Aktionspotential und synaptischer Übergang.


Die eigentliche Kommunikation zwischen den Neuronen ist aber nicht die Fortpflanzung des Aktionspotentials, sondern die synaptische Übertragung. Erreicht ein ΔΨA das Ende des Axons, so gelangen Kalzium-Ionen (Ca2+) durch die an diesem Ende befindlichen Ca2+-Ionenkanäle in Innere des Axon-Endes. Durch diese Ionen werden die Transmitter freigesetzt, vgl. Abbildung  x6-17005140;6.4. Die Ca2+-Kanäle sind spannungsgesteuert und ohne das Aktionspotential geschlossen. Da das ΔΨA die Membranenspannung verändert, öffnen sich für kurze Zeit diese Kanäle, was zu einer Erhöhung der Kalziumkonzetration führt. Dies ist das Signal an die Vesikel, die entsprechenden Neurotransmitter auszuschütten.

Die in den Vesikel befindlichen Transmitter diffundieren über den synaptischen Spalt und binden sich nach ihrer Ausschüttung an die Rezeptoren der nachfolgenden Neuronenmembran der Postneurone. Der Postneuronzellkörper, bzw. deren Membran wird dadurch leicht depolarisiert. Dies bedeutet auch, dass die Ionenkanäle einer Postneuron an den Dendriten und dem Zellkörper nicht spannungsgesteuert sind, sondern chemisch aktiviert werden.

Der Austausch von Transmittern mit der Postneurone bewirkt letztlich, das sich dort die Verhältnisse so ändern, das hier dann ein Aktionspotential, was im Allgemeinen der Erregung des Neurons entspricht, generiert wird oder sich Nichts ändert. Im letzten Fall ist das Neuron gehemmt, es entsteht kein Aktionspotential. In der Abbildung 6.8 wird der synaptische Übergang für eine einzelnes Neuron gezeigt und in der Abbildung 6.7 ist der Ort dieses Übergangs angedeutet. Beim synaptischen Übergang bilden sich die entsprechenden Signale, z.B. das inhibitorisches postsynaptisches Signal (IPSP) für die Erregung und das exzitatorisches postsynaptisches Signal (EPSP) für eine Hemmung.


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Abbildung 6.8: Das Prinzip einer Synapse am Beispiel eines synaptischen Spalts


Beim Übergang der Neurotransmitter von der Prä- zur Postneurone kommt es im Bereich der Synapsen immer zu einer Rezeptorenbindung, d.h. bestimmte Transmitter können sich nur an bestimmten Stellen ankoppeln um dort zu wirken. Neurotransmitter sind z.B. Glutamat, sorgt für Erregung oder Gamma-Amino-Buttersäure (GABA), welche für eine Hemmung oder Minderung der Erregung verantwortlich ist. Werden durch die Transmitter geeignete Rezeptoren aktiviert, so bilden sich entsprechende Hormone als Informationsüberträger, bzw. werden die jeweiligen Drüsen aktiviert (z.B. Sexualhormone). Die Konditionierung von Neuronen ermöglicht ständige Reizung und dadurch Freisetzung immer des gleichen Transmitters.

Der vorliegende Abschnitt kann nur eine sehr oberflächige und unvollständige Übersicht über den Aufbau, Funktion eines Neurons, deren Unterteilung und die Vorgänge bei der Signalübertragung geben. Die Inhalte resultieren auf Erkenntnissen aus der Neurowissenschaften, der Molekularbiologie, aus Bereichen der Medizin und anderer Wissenschaften. Einzelheiten zu den Vorgängen bei der synaptischen Übertragung findet man in (Tho94, Kap. 2), in (JGN92, Kap. 9) oder in  (FA05). In (Ecc00) und (Ede93) wird ebenfalls im Detail auf die hier beschriebenen Vorgänge eingegangen. Während der Ionenaustausch im Falle von Ruhe- und Aktionspotential die Wirkungsweise eines Neurons beschreibt, sind die Vorgänge die die Potentiale bewirken ein Bestandteil des Informationsverarbeitungprozesses eines Neurons. So sind Neurotransmitter z.B. der Träger von Informationen, die bei einem synapischen Übergang aktiviert werden, vgl. (Kan06) und (FA05). Die Beschreibung der Pulsfolge von Aktionspotentialen kann im Modell mit einer Pulsfolge von binären Signalen an einem aktiven Schwellwertschalter, so. z.B. die RC-Schaltung im Bild  3.14, verglichen werden. Besser ist aber nach  (FA05) eine Analogie zu einem Lichttimmer. Für das Zusammenwirken zwischen den Neuronen im Einzelnen und der Bezug zu den Aktivitäten in den Bereichen des menschlichen Gehirns sei (Dam06, Kapitel 2 , S.52...63) als Literaturhinweis gegeben.

In den weiteren Erläuterungen in diesem Text wird das Neuron als Simulationsobjekt für die KNN von Interesse sein. Im folgenden Teil III „Grundlagen der Künstliche Neuronale Netze“ werden nun weitere Einzelheiten aus der kurzen Übersicht zu den biologischen und neurologischen Grundlagen“ fortgeführt. Dort werden Modellneuronen und KNN als Simulatoren für die Erklärung der Funktionsweise vorgestellt. Bevor die Modellbildung und die KNN im Detail behandelt werden, sollen jetzt die Begriffe, Methoden und Verfahren vorgestellt werden, auf denen auch die hier angerissenen Fakten basieren. Damit endet die Übersicht zu dem Gehirn und den Neuronen, die die biologischen Vorlagen für die KNN bilden.

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